Montag, 14. August 2006
Hamam (1)
appatoon, Montag, 14. August 2006, 17:16
Das Prospekt war mir beim Altpapierbündeln wieder in die Hände gefallen. "Entspannung, die Laune aufhellen und es sich gut gehen lassen – gönnen Sie sich einen Hamam-Besuch!". Unter dem Text einige briefmarkengrosse Photos aus 1001 Nacht. Auf einem Photo der riesige runde Grillstein aus Marmor, auf dem sich mehrere glückliche Menschen räkelten. Das andere Photo zeigte den Tellak (den Bademeister/Masseur) in Aktion, rumfuchtelnd mit einer Schaumkugel in Händen. Das durch die Kuppel einfallende Licht strahlte ihn an und ließ die nach Entspannung bettelnden seltsam düster und noch erholungssuchender aussehen. Nur mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch stand der hochgewachsene dunkelhaarige Adonis in überlegener David-Pose vor den Delinquenten. Die Szenerie erschien mir irgendwie unnatürlich gestellt, wobei der Waschbrettbauch des hochgewachsenen Super-Tellaks kaum wegzudiskutieren war. Ja. Genau das wollte ich. Entspannung, Wärme, massierende Hände und hautschmeichelnde Schaumkugeln überall. Früh am Sonntag-Morgen saß ich auf dem kalten Betonstein und wartete auf das Öffnen des Hamam. Nach und nach gesellten sich drei bis vier weitere Besucher dazu. Aus den verhaltenen Gesprächen entnahm ich, daß ich nicht der einzige Neuling sein konnte. Zuletzt erschien ein etwas dickbäuchiger kleiner Herr mit Schnauzbart und Rentnerkäppie. Mit Sicherheit ein Stammgast, denn die kennen ihre Pappenheimer und sind immer just-in-time zur Stelle. Ab in den Gemeinschafts-Umkleideraum, der sehr schön mit allerlei Palmen und Gipsfigürchen garniert war. Die Fußbodenheizung, das gedämpftes Licht und frischer Orangenduft entlockten der Dame neben mir ein leises "Wow!". Es präsentierte sich jedenfalls das genaue Gegenteil meiner traumatischen Erinnerungen an die Freischwimmerprüfung, die ich an dieser Stelle aber nicht weiter vertiefen möchte. Die Badehose erwies sich als überflüssig und so wandelte ich mit der Gesellschaft nackend in Richtung der heiligen Stätte. Der dickbäuchige Herr bog scharf nach rechts ab – wahrscheinlich musste er nochmal für kleine Stammgäste. So genau konnte ich das aber nicht erkennen, da ich meine Brille einsam im Umkleideraum zurücklassen musste, meine Kurzsichtigkeit mitnahm und die Augen zusammenkneifend den anderen folgte. "Das sieht ja so toll aus wie im Prospekt" tuschelte die Dame zu ihrem um einen Kopf kleineren Begleiter. Ich glaubte ihr erst mal vertrauensselig. Nach mehrmaligem angestrengten scannen des Raumes musste ich ihr Recht geben. Wow!
Nach einigen Sekunden der Verwunderung erschien ein Mann mit Handtuch um die Hüften aus dem Dunkel eines Nebenganges. Je näher er mir kam, um so schärfer zeichneten sich seine Umrisse ab. Ja – das musste er sein. Der Tellak. Der Adonis und Meister der perfekten Schaumkugeln. Den Korb mit den weißen Handtüchern trug er vor sich und stellte ihn neben den Grillstein. Als ich mir ein Handtuch nahm und wieder aufschaute stand er dann einen Meter vor mir. Nah genug für mich, um ihn einigermaßen scharf sehen zu können. Aha! Der kleine dickbäuchige Stammgast mit Schnauzer war also gar kein Stammgast. Er arbeitete hier. Nach einigen Sekunden wurde mir klar, daß das Warten auf den Prospekt-Adonis-Tellak vergeblich sein würde.

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