Dessert mediale - womöglich ein Lore-Roman
appatoon, Dienstag, 23. Oktober 2007, 22:51
Diesen sterbenslangweilige Abend im Blitzlichtgewitter kotzte ihn an. Unerträglich die geifernde Meute von Reportern, die aufdringlich ihrem Handwerk nachgingen. SIE war zweifellos der Star des Abends, ging entschlossen, fast schwebend auf die Bühne und konnte unter dem Applaus des Publikums endlich die Früchte ihrer Arbeit ernten. Diese distanzierte spröde Art faszinierte ihn schon beim ersten Treffen in der Kantine des Senders. Sie stand erhobenen Hauptes vor ihm in der Schlange und entschied sich zielsicher für Stammessen 2: Bockwurscht mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Mit Röstzwiebelchen. Aus kulinarischer Sicht ein unglaublich mutiger Schritt. Was für eine selbstbewusste mutige Frau. Eine Frau, die genau wusste, was sie wollte. Irgendwie beeindruckte ihn diese Entschlossenheit. Aber niemand durfte von dieser medialen Zusammenarbeit erfahren. Die Zeit war noch nicht reif. Noch nicht. Einige Kameras waren auf auch ihn gerichtet. Gequält lächelnd strich er mit dem Zeigefinger über die leicht versiffte Theke. Eine Pose für die Klatschpresse. Danach ein unwilliger Griff zum zerkochten vegetarischen Broccoliauflauf, wobei es ihm sichtlich schwer fiel, den aufkeimenden Brechreiz zu unterdrücken. Der Koch war zweifelsohne ein Dilettant. Aber sein Ruf stand auf dem Spiel. Immer schön locker bleiben und lächeln.

Nach der Verleihung des Fernsehpreises enteilten beide in unterschiedliche Richtungen, um sich heimlich in ihrer Wohnung zu treffen. Schon seit der letzten Staffel fühlte er diese Sehnsucht, einfach nur er selbst zu sein, auf die Popularität zu pfeifen und alle Prinzipien über Bord zu werfen. Er hatte diese Quotenscheisse so satt. Das Klischee als Restauranttester klebte an ihm wie Hundescheisse am Absatz. Womöglich eine Sackgasse. Es kochte der Wunsch auf, einfach zu verschwinden. Ganz weit weg. Die erschufteten 5-Sterne Spelunken einfach verhökern und einen Schlußstrich ziehen. Vielleicht irgendwo auf Malle eine gepflegte Frittenbude eröffnen. Mit selbst gemachten Buletten nach Hausfrauenart und Dosenbier aus Pappbechern, Fritten rot-weiß und im Regal stramm stehenden Magenbitter-Fläschchen.

Als er die Wohnung betrat, fuchtelte sie mit ihrer säuberlich getippten To-do-Liste vor seinen Augen und stimmte räuspernd sofort einen Befehlston an. Wie immer. Kein Kuß, keine Zärtlichkeiten. Nur Ritual. Kühle. Berechnung. Eine seltsame Beziehung wie Entenbrust mit Gemüse süß-sauer. Sein Entschluß stand entgültig fest. Für ein gemeinsames Leben reichten die Gemeinsamkeiten nicht aus. Heute würde es kein Foie gras de canard au raisins en gelée de vin blanc geben. Und auch mit den versprochenen Fleurs de courge farcis et frites à la sauce mornay war heute Essig. Nanny würde das verstehen. Diese Super-Frau rechnete grundsätzlich mit allen Eventualitäten und fand immer eine Lösung. Zumindest für andere. Sie würde sicherlich verstehen. Bestimmt. Die Idee des Senders, mit ihr eine Fernsehserie für's Vorabendprogramm zu produzieren war zugegebenermaßen verlockend und genial. Ein gemeinsamer Kampf Schulter an Schulter gegen Fertiggerichte und nörgelnde Balge. Ein Kampf in den Plattenbauten der Nation gegen verlotterte Tischmanieren, Discounter-Bratensoße und den kommunikationsbetäubenden plappernden Fernseher beim Abendessen. Mit Sicherheit ein Gassenhauer. Aber eine Gemeinsamkeit? Er verdrängte diese Gedanken und dann brach es aus ihm heraus. Sie sah ihm in die Augen und ohne äußere Regung setzte sie stoisch gelassen ihre Häkchen hinter die offenen Punkte. Sie legte zu seiner Überaschung den Schreiblock beiseite und langsam näherten sich ihre halb geöffneten kirschroten Lippen den seinen. Im Zeitlupentempo schüttelte sie das schwarze schulterlange Haar. Der fordende Blick ließ ihn schmelzen wie Zartbitterschokoladeflocken auf heißen Himbeeren. Scheisse. Konnte man sich so in einem Menschen täuschen? Sie war wie verwandelt. Vielleicht hatte sie nur auf diesen Ausbruch gewartet? Auf ein Zeichen, gemeinsam einfach loszulassen? Gemeinsam. Er schloß die Augen und sog tief ihren warmen Atem ein. Seiner feinen Nase entging nicht der Geruch von Geschmacksverstärkern. Aber das war jetzt egal, so egal. Vielleicht gab es zusammen eine Chance. Dieser Kuss könnte eine Basis sein. Eine Basis, wie für eine anständige Bratensoße. Ja. Einfach nur küssen, küssen, küssen. Hier und jetzt. Irgendwie schien in diesem Augenblick alles möglich und erreichbar. Der Beginn von etwas ganz neuem. Den Produzenten vom Drehort auf Malle zu überzeugen würde ein Leichtes sein. Und auch den unrasierten Typ aus dem Quiztaxi mit in die Folgen einzubauen. Sozusagen als Sahnehäubchen.