Donnerstag, 12. März 2009
appatoon, Donnerstag, 12. März 2009, 19:15

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Donnerstag, 12. Februar 2009
Tun
appatoon, Donnerstag, 12. Februar 2009, 21:52
Irgendwie kamen wir auf das Thema zu sprechen und meine Mutter meinte, die schönste Zeit mit meinem Vater seien die ersten Jahre gewesen. Schön, weil unbeschwert. Schön, weil dieser Sog da war. Schön, weil man sich etwas aufbauen konnte. Schön, weil es nur besser werden konnte. Schön, weil man in einer 1-Zimmerwohung aufeinander hockte und es eben gehen musste. Es ging auch gar nicht anders. Zum Jammern blieb keine Zeit. Im dritten Anlauf hatte sie über die grüne Grenze in den Westen rübergemacht und das erste Mal überhaupt das Zuhause hinter sich gelassen. Eltern und Geschwister wussten nichts. Erinnerungen an Kindheit, Schule, Lehre, Freunde, den Wald, die Wiesen und dann waren da noch die seltenen Ausflüge zur Wartburg. Das tut schon weh. Aber hinter Eisenach war die Welt sowieso zu Ende. Weiter war man in 20 Jahren nie gekommen. Kaum zu glauben. So'ne kleine Welt. War nicht einfach, alles zurückzulassen. Trotzdem gehen, ohne konkrete Vorstellungen. Nicht viel überlegen. Einfach weg. Zum Glück hielt da jemand die Arme auf. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Zum Jammern war gar nicht die Zeit. (Ich wiederhole mich, aber sie wiederholte sich ja auch.) Seine 40 Mark, die er beim Startschuß der neuen Republik in die Hand gedrückt bekam, schickte mein Vater ihr per Post. Die wirst du brauchen, meinte er. Die ortskundigen Schlepper wollten auch ihr Scherflein. Schließlich kassierten die Russen das Geld und drohten für einen nächsten Grenzübertrittsversuch als geringste Strafe den Knast an. So oder so ähnlich haben die uns das gesagt meinte sie. Das Geld war jedenfalls futsch. Eine Woche später versuchte man es eben nochmal. Es regnete diese Nacht und eine ältere Frau aus Dresden wich ihr nicht von der Seite. Die Gute. Ich hab' die nie vergessen. Bleib immer schön hinter mir. Es ist nur noch ein kleines Stückchen. Um diese Zeit trinken die Russen immer. Das machen die jede Nacht. Die gehen bei dem Sauwetter nicht vor die Tür. Brauchst keine Angst haben. Nur noch über den Acker da vorne und gleich nach dem Wald sind wir da, sagte die Frau. Ihr Name? Der fällt mir gerade nicht ein, aber wenn ich nicht mehr dran denke, kommt der von ganz alleine. Wie von selbst. Wenn man will geht so gut wie alles. Ich weiß auch nicht - wir waren jedenfalls zufrieden. Wir hatten uns. 100 Mark im Monat zum Leben mussten reichten und auf Pump haben wir uns nie was angeschafft die nächsten Jahre. Nie. Kam gar nicht in Frage. Na ja, bis auf unser erstes Sofa. 20 Mark stotterten wir jeden Monat ab. Aber irgendwohin musste man sich ja setzen. Wir haben viel Radio gehört. Orchestermusik. Lange Gespräche am Abend. Fast jeden Abend. Man unterhielt sich und redete und redete. Und wir hatten gute Freunde. Sehr gute Freunde, die uns halfen. Wenn die nicht gewesen wären. Jetzt lass' uns aber mal aufhören, sagte sie, du musst ja morgen auch wieder früh raus. Machen wir's jetzt mal nicht so lang. Ja, ja – ich muss früh raus morgen. Ich geh' dann mal. Dann meinte Muttern noch, solche ollen Geschichten interessierten zwar niemanden, aber sie hatte öfters schon überlegt, sich auf den Hintern zu setzen und ein paar Notizen zu machen. Oder wenigstens damit anzufangen. Den Vergessenen in den Photoalben mit einem dicken Filzstift ihren Namen zurückgeben. Bojen setzen. Sich von einer zur nächsten hangeln. Irgendwie geht das schon. Der Rest kommt dann hoffentlich wie von selbst.

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