Freitag, 9. Februar 2007
Friday-Sunglasses-Meetings und Nicht-Schoko-Kekse
appatoon, Freitag, 9. Februar 2007, 20:59
Mein Gott wie bin ich froh, dass diese Freitagsmeetings endlich der Vergangenheit angehören. Morgens um 9 Uhr traf man sich, um die aktuellen Ziele zu besprechen und Visionen für überübermorgen zu entwickeln. Schon als ich damals in dieser Firma anfing fragte mich der ein oder andere mit leiser Stimme: "Vergiß bloß nicht das Sunglasses-Meeting!" Hinter vorgehaltener Hand wurde ich dann auch sehr schnell über die Bedeutung dieses rituellen Treffens aufgeklärt. Der Begriff "Friday-Sunglasses-Meeting" wurde in Anlehnung an die Welt des Pokerns gewählt. Eine Ansammlung von Kollegen der Abteilung fand sich also freitag morgens an einem seit Jahrzehnten festgelegten Ort der Erleuchtung zusammen und spielte ein Spiel um Geben und nicht nehmen wollen. Der zusammen gewürfelte Haufen bestand aus Ignoranten, Klugscheissern Besserwissern, Emporkömmlingen, Angebern, Arschkriechern, Pöstchenhaschern und der vorherrschenden Fraktion der lethargischen Sesselpupser, wobei ich auf Überschneidungen an Charakterzügen im Sinne der Mengenlehre hier nicht näher eingehen möchte. Und ich natürlich mittendrin im Haufen. Für meinen Geschmack war die Veranstaltung an Heuchelei kaum zu überbieten. Einfach widerlich und abstossend. Eine von der Geschäftsleitung periodisch angeordnete Alibi-Pflichtveranstaltung gemäß QM, in der neben der Restmotivation hauptsächlich unglaubliche Mengen meiner kostbaren Lebenszeit verbrannt wurden. Zur Grundausstattung gehörte ein Notizblock, um bei unangenehmen Fragen "beschäftigtes Notieren" vorzutäuschen. Parallelen zur Schulzeit drängten sich einem sofort auf. Oder noch besser: ein Laptop mit drahtlosem Internetanschluß, um sich die Zeit einigermaßen erträglich zu gestalten. Die kampferfahrenen Kollegen hatten ihre Sunglasses-Taktik bis zur Perfektion getrieben. Bei unangenehmen Themen ("Wer möchte denn gerne am Samstag bei der ZehBIT die Bonbons verteilen? Freiwillige? Na?") musste strategisch richtig gehandelt werden. Schon im Vorfeld wurden "sehr wichtige" Kundengespräche genau in diesen Zeitraum gelegt. Nicht planbaren Attacken im Meeting konnte man sich nur erwehren, wenn eingeweihte verbündete Vasallen außerhalb des Konferenzzimmers durch Senden einer HELPME-SMS dazu verpflichtet wurden, den Absender unverzüglich telefonisch zu kontaktieren ("Bimmel - Bimmel - Bimmel… Ja? Oh! Dann in die Runde mitleidig geplärrt: Sorry. Ich hab’ vergessen, mein Handy auszumachen. Herr XYZ (wichtiger Kunde) lässt mir soeben ausrichten: ich soll SOFORT zurückrufen…Mist!"). Und schwupps war er verschwunden. Um die Anwesenden bei Laune zu halten, wurden Kekse und manchmal auch Butterbrezeln aufgetischt. (Seltene Butterbrezeln waren meistens ein untrügliches Zeichen einer bevorstehenden Verschwörung.) Die Schokokekse waren sehr schnell verschwunden, während für die bedauernswerten Nachzügler nur noch die Nicht-Schoko-Kekse übrig blieben. Wer gerade mit diesen furztrockenen kleinen UFOs beschäftigt war, konnte leicht übertölpelt werden. Bevor überhaupt ein Griff zum Mineralwasser möglich war, um den staubigen Mund wieder in den Zustand der Sprachfertigkeit zu hieven, waren in Sekunden schon am anderen Ende des Tischs Entscheidungen gefallen und die A-Karte hatte auf wundersame Weise ohne nennenswerten Widerspruch einen neuen Besitzer gefunden. "La ola–gleich" huschten während der Meetings die Blicke hinter den virtuellen Sonnenbrillen von einer Person zur nächsten. Abchecken, antäuschen, verstecken und auf den richtigen Zeitpunkt warten. Verabscheuenswert war die Behandlung "neuer frischer Kollegen". Für die Ahnungslosen ohne jegliche Mimikry-Erfahrung oder mit fehlendem angeborenen Jagdinstinkt schlug bei diesen Veranstaltungen sehr schnell das Schicksal in Form der Inquisition zu. Während der Sommer- und Weihnachtszeit blieben uns diese Meetings erspart. Kein Mensch konnte sich danach an die dümmlichen to-do’s erinnern, die glücklicherweise schnell im dumpfen Sumpf der Vergesslichkeit für immer ihr dunkles Grab fanden. Eine Erleichterung machte sich dann immer breit, bis das Spiel nach einigen Wochen wieder mit den üblichen Regeln gespielt wurde. Eine Zeit lang dachte ich ernsthaft darüber nach, diesen gruppendynamischen Irrsinn auf Papier festzuhalten. Bis ich feststellte, daß die Wahrheit an anderer Stelle schon niedergeschrieben wurde.

Zurzeit bin ich meine "eigene Abteilung". Meetings organisiere ich nur mit mir selbst. Außer bei kleinen Notlügen muss ich mich kaum noch selbst bescheissen. So gesehen ein sehr wohltuendes und befreiendes Gefühl. Ich bin froh, dass diese Verhaltensweisen jetzt erst einmal der Vergangenheit angehören, auch wenn ich ab und zu (meistens Freitags) noch daran denke. Hingegen ist meine Abneigung gegenüber Nicht-Schoko-Keksen auf keinen Wochentag beschränkt. Mit dieser Altlast kann ich gut leben, auch wenn die Begründung dieser Abneigung wie man sieht nicht in einem Satz zu erklären ist. Auf die Schokoladenseite mag ich in Zukunft jedenfalls nicht mehr verzichten.

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