Endlich habe ich mir den Wunsch erfüllt, ein wenig Nostalgie in meine kleine Hütte zu bringen. Der Gedanke war schon länger gereift, aber immer wieder über die Jahre verstaubt. So lange ich mich erinnern kann, wollten meine Eltern "Traviata" unspektakulär dem Sperrmüll übergeben. Jedesmal legte ich mit nach unten gezogenen Mundwinkel mein leises Veto ein. Mit der Zeit verstanden sie meine kleine Sehnsucht und gaben "Traviata" ihren Stammplatz hinten rechts im Keller neben dem Pappkarton mit den Legos. Schon alleine der Name "Traviata" geht mir runter wie Balsamico. Ein weicher Name. Ein Name mit Charme, wie ich finde. Ich merke gerade, daß ich ins schwärmen komme. Äh..heute nahm ich "Traviata" also mit nach Hause und packte sie vorsichtig aus dem vergilbten Karton. Die erste Erleichterung: kein Kratzer oder Schramme. Nur eine erstaunlich dünne Staubschicht, die sich in den mindestens 40 Jahren gebildet hatte. Nach der vorsichtigen Reinigung mit einem nassen Lappen und dem Wedeln mit einem Pinselchen glänzte "Traviata" wie am ersten Tag. Noch mit dem Wischen beschäftigt bemerkte ich das Fehlen des Stromkabels. Mist. Eine leichte Enttäuschung machte sich breit. Doch dann fiel mir ein, daß bei man früher zum transportieren das Stromkabel hinter die Rückwand legte. Schnell also die pappeähnliche Rückwand nach dem herausdrehen von zwei kleinen Schrauben entfernt. Nur annähernd vergleichbar mit dem Gefühl, Ü-Eier zu knacken. Das verlorene Kabel fiel mir sofort entgegen. Als wenn der Vorhang den Blick auf eine miniaturisierte Theaterbühne freigeben würde. Ich konnte es kaum erwarten. Mit einem etwas mulmigen Gefühl setzte ich nun "Traviata" unter Strom. Nichts. Dann der Notfallplan: ruhig bleiben und einfach mal alle Tasten drücken. Wieder nischt. Also widmete ich mich wieder "Traviatas" rustikaler Rückseite und schaute etwas hilflos mit gespitzen Lippen in ihr Innerstes. Röhren, Potentimeter, Spulen, mechanische Sendersuche und jede Menge Kabel. Einige am Ende nicht isoliert. Schluck. Fast vergessen den Netzstecker zu ziehen. Aber ich konnte deutlich erkennen, daß eine kleine graue Röhre anscheinend keine Lust mehr hatte und in den Jahrzehnten um einige Millimeter aus seinem Sockel geflüchtet war. Ruckzuck die Flucht vereitelt und auch bei ihren Kollegen den festen Sitz geprüft. Ein zweiter Versuch, die Kulisse zu erleuchten. Stecker wieder rein und bei geöffneter Rückwand warten was passiert. Den "An"-Knopf gedrückt...dann war die Hintergrundbeleuchtung plötzlich an. Und wie Glühwürmchen in einer lauen Sommernacht begannen die Röhren erst dunkelrot zu glimmen um dann in einem gleißend gelb-weißen Sopran summend ihr Licht zu verschleudern. Dann dauerte es noch weinige Sekunden, bis sich mit einem knarzenden Krachen die Lautsprecher zu Wort meldeten. Als ob sie endlich erlöst aus diesem Dörnröschenschlaf sagen wollten: "Hey - uns gibt's ja auch noch! Und wer bist'n du?" Ich war beeindruckt und schaute mir noch einige Minuten "Traviatas" glühendes Herz an. Ein Klang aus diesem Stück in Furnierholz verpackter zusammengeschraubter Technik wie ich ihn schon lange nicht mehr hörte. Zum dahinschmelzen. Ich glaube wir sind beide ein wenig stolz. "Traviatas" Vorname lautet übrigens "Nordmende". Das hat sie mir gerade eben bei einem Glas Wein und nach kurzer Sendersuche ins Ohr geflüstert. Ich glaube, ich habe mich ein wenig verliebt.
Permalink (2 haben sich Zeit genommen) Ein zeitloser Kommentar?