Sonntag, 18. Juni 2006
Herr B.
appatoon, Sonntag, 18. Juni 2006, 19:09
Inmitten Hunderter Menschen in einer durchgeglühten Stadt sah ich heute Herrn B. wieder. Mit einem schmelzenden Eis vor mir und im Gespräch vertieft sah ich ihn keine 5 Meter an mir vorbeigehen. Mit seinem Gehstock war er sehr viel langsamer unterwegs als die wuselnden anderen Passanten. Ich hatte ihn sofort erkannt, obwohl zwischen unserer letzten Begegnung eine Ewigkeit lag. Weiße Haare, eine leichte Winterjacke bei 35 Grad und eine leicht verschmutzte Hose. Herr B. war mein "alter" Kunstlehrer im Gymnasium. Etwas gedrungene Gestalt, ein rundliches Gesicht und vom Typ her ein eher zurückhaltender "leiser" Mensch. Er war (daher?) bei allen Schülern nie als "Respektsperson" anerkannt worden. Harte Regeln auch damals schon. Und man munkelte, das Lehrerkollegium sei auch dieser Meinung gewesen. Einige Begebenheiten verbinde ich mit ihm:
1 | Die Analyse von Gemälden nach Grundsätzen der allgemein geltenden Kunstlehre war nie so mein Ding. Fiel mir einerseits "der technische Kram" wie Malweise, Farbwahl bla-bla-bla immer recht einfach, so lag ich doch bei der inhaltlichen Interpretation meist daneben. Frage:Was könnte den Maler dazu bewogen haben, dieses Motiv genau so und so gemalt zu haben? Typische Antwort: Vielleicht hat er Probleme gehabt?! Vielleicht ging's ihm nicht so gut?! Geldprobleme....vielleicht Liebeskummer?! Herr B. widersprach niemals direkt. Er nahm den "Ball" meiner "kleinen Vereinfachungen" auf und meistens waren diese Vereinfachungen am Ende der Analyse zumindest möglich – aber nie ausgeschlossen. 2 | Herr B. liebte es, Portaits anzufertigen. Während der Schulstunde zeichnete er öfters. Manchmal sah man ihn auch in der Fußgängerzone still und heimlich Skizzen mit (Pit-)Kohle von Füßgängern anfertigen. Portaits waren mir ein Greuel. Bei Gesichtern fehlte mir das Auge für die Proportionen. Bei mir sah jede(r) irgendwie aus wie eine Mischung aus Charly Brown und Bart Simpson. Das Zeichnen des restlichen Körpers machte mir allerdings weniger Probleme. 3 | Herr B. hatte sein kleines Notizbuch immer geöffnet auf seinem Pult liegen, in das er permanent Noten eintrug. Ich kannte dieses Büchlein zu gut: Musste er den Unterricht einmal verlassen, fügte man frech ein paar 1er oder 2er hinzu. Dutzende von Noten im Notizbuch für einen Schüler – da konnte er doch kaum den Überblick behalten? Er hatte den Überblick, wie ich später durch Zufall erfuhr. Er verlor aber uns gegenüber nie ein Wort darüber.

Herrn B. habe ich heute nicht angesprochen. Es ging aus verschiedenen Gründen nicht. Ob ich heute Portaits zeichnen kann? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich noch die Probleme mit den Proportionen!

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Le Bon's Thesen zur Psychologie der Massen (I)
appatoon, Sonntag, 18. Juni 2006, 04:16
Der einfachste Vorfall, von der Masse gesehen, ist sofort ein entstelltes Geschehnis. Sie denkt in Bildern, und das hervorgerufene Bild löst eine Folge anderer Bilder aus, ohne jeden logischen Zusammenhang mit dem ersten. Diesen Zustand verstehen wir leicht, wenn wir bedenken, welche sonderbaren Vorstellungsreihen zuweilen ein Erlebnis in uns hervorruft. Die Vernunft beweist die Zusammenhangslosigkeit dieser Bilder, aber die Masse beachtet sie nicht und vermengt die Zusätze ihrer entstellten Phantasie mit dem Ereignis. Sie nimmt die Bilder, die in ihrem Bewußtsein auftauchen und nur sehr oft eine entfernte Ähnlichkeit mit der beobachteten Tatsache haben, für Wirklichkeit.

[Le Bon | Psychologie der Massen | Erschienen 1895]

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 Zeitreisen in die Vergangenheit